Tägliche Berichterstattung vor 40 Jahren
SN Print | 12.04.2015
Bild: SN/ratzer
Freie Fahrt für freie Bürger, ohne Tempolimits und Sicherheitsgurte:
Anfang der 1970er-Jahre kamen noch sieben Mal so viele Menschen im
Verkehr um wie heute.
Gerhard ÖHlinger salzburg. Der Benzinpreis lag konstant bei vier
Schilling (ca. 30 Cent) für den Liter Super, der eigene Pkw gehörte zur
Standardausstattung des durchschnittlichen Haushalts. Auf den Straßen
durfte das Gaspedal bis zum Anschlag durchgetreten werden. Nie war die
automobile Freiheit so groß wie in den frühen 1970er-Jahren. Der Preis
dafür: „Das Gemetzel, das wir Verkehr nennen“, wie das Magazin „Der
Spiegel“ im Sommer 1971 titelte. Der Tod auf der Straße war schreckliche
Routine geworden, auch in der Berichterstattung der SN. In ganzen 15
Zeilen wurde beispielsweise am 26. August abgehandelt, dass in Salzburg
drei junge Menschenleben im Verkehr ausgelöscht worden waren. Eine
21-jährige Kellnerin, eine 38-jährige Angestellte und ein 18-jähriger
Hilfsarbeiter waren die Opfer. Im Schnitt kamen österreichweit acht
Menschen pro Tag im Verkehr ums Leben. 1971 waren es insgesamt 2782, ein
Jahr darauf sogar 2948 Opfer. Ab da sank die Zahl bis auf 455
Verkehrstote im Jahr 2014.Aus heutiger Sicht erscheint es haarsträubend, welchen Risiken sich jemand vor gut 40 Jahren aussetzte, wenn er in ein Auto stieg. Viele Insassen wurden bei einem Unfall wie Puppen aus dem Fahrzeug geschleudert, denn Sicherheitsgurte galten noch als Sonderausstattung und viele Autofahrer fühlten sich an ihren Sitz „gefesselt“. Erst ab 1984 gab es eine Anschnallpflicht, bei der im Fall der Nichtbeachtung auch gestraft wurde. Kopfstützen, die Genickbrüche verhinderten, setzten sich ebenfalls nur zögerlich durch. Jegliche Massentauglichkeit wurde einer Entwicklung abgesprochen, die 1971 erstmals zum Patent angemeldet wurde: einem Sack, der sich bei einem Anprall als Stoßdämpfer im Innenraum blitzartig aufblasen sollte. Diesen „Airbag“ stuften selbst wohlmeinende Experten mehr als Kuriosum ein.
Furchtbare Bilder boten sich Rettungskräften, wenn sie Verkehrsopfer bargen, die tödliche Verletzungen durch Lenksäulen erlitten hatten, die in den Innenraum geschoben worden waren. Die Hersteller mussten erst gezwungen werden, die Fahrzeuge sicherer zu bauen. Dazu gehörte auch, bei den Windschutzscheiben auf Verbundglas umzustellen. Viele Menschen waren bis dahin erblindet, wenn die Scheiben bei einem Anprall in tausend Scherben zersplitterten.
Aber nicht nur die Fahrzeuge stellten ein Risiko dar. Die Lenker wurden auf Bundesstraßen erst ab 1973 auf 100 km/h und auf Autobahnen ab 1974 auf 130 km/h eingebremst. Bis dahin konnte nach Herzenslust gerast werden. Die Helmpflicht für motorisierte Zweiradlenker kam erst in den 1980er-Jahren, ebenso der Alkomat.
Enorme Fortschritte machten auch das Rettungswesen und die Unfallmedizin. Auch das half, die Zahl der Toten und Verletzten zu reduzieren. Viele sichere Straßen waren zudem noch gar nicht gebaut. Wer 1971 aus Salzburg zum Urlaub in den Süden aufbrach, musste viele Kilometer die Berge rauf und runter einplanen, weil die Tauernautobahn gerade einmal bis Hallein fertiggestellt war.
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